SAREK - Solotour in Schweden
Thomas Färbinger | 27.05.2021 um 10:16 Uhr
Mitte März 2021 startete ich meine Solotour in den Sarek Nationalpark im hohen Norden von Schweden. Mit dem Flieger ging es nach Stockholm, weiter mit dem Zug nach Lappland und anschließend noch mit dem Bus zwei Stunden bis zur Nationalparkgrenze. Der Sarek, dieser liegt nördlich des Polarkreises und wird auch als die letzte Wildnis von Europa beschrieben, bildet mit drei weiteren Nationalparks sowie einigen weiteren Naturreservaten das 9400 Quadratkilometer große UNESCO Weltkulturerbe Laponia. Es gibt keine Hütten zum Übernachten oder unterzukommen, nirgends eine Möglichkeit etwas nachzukaufen, weite Teile sind ohne Handynetz.
Angekommen im Fjällrestaurant konnte ich dort meine nicht benötigen Sachen (Schisack, Reiseschuhe und –bekleidung) zurücklassen. Der Wirt Rimon wünschte mir noch eine schöne Tour, auf seine Frage, wann ich denn wieder zurückkäme – und ich ihm sagte in 16 bis 18 Tagen – machte er große Augen, wollte dann doch etwas mehr von mir wissen und machte sicherheitshalber noch ein Foto von mir Danach konnte ich endlich meine Pulka an den Hüftgurt hängen und in die winterliche Wildnis von Lappland starten.
Nach der ersten Stunde musste ich einen großen zugefrorenen See überqueren. Die ersten Meter testete ich noch die Tragfähigkeit der Eisdecke, danach ging`s einfach quer drüber. Am nächsten Tag wurde ich ganz schön gefordert: der weitere Tourenverlauf im Gelände war wegen der Steilheit und des tiefen Schnees mit meiner schwer beladenen Pulka (ca. 55 kg) zu schwierig und ich konnte sie mit Körperkraft nicht die steileren Abschnitte hinaufziehen. Daher die Hälfte der Ladung ausgeladen, Aufstieg mit dem restlichen Zeugs, oben angekommen alles ausladen. Abfahrt mit der leeren Pulka zurück zum Ausgangspunkt, Material einladen, wieder Aufstieg, vorbei am gelagerten Materialdepot und den nächsten Abschnitt genommen. Am Ende des Tages standen nur ca. 5 Kilometer Wegstrecke zu Buche, in den Beinen hatte ich aber ca. 16 Kilometer absolviert.
Am Abend das Zelt noch aufgestellt, Essen gekocht, etwas Körperpflege und müde verkroch ich mich in meinen Schlafsack.
Vom Aufstehen bis zum Abmarsch musste ich gute zwei Stunden veranschlagen: Frühstücken, saubermachen, wegräumen, alles in die Säcke packen, das Zelt abbauen und in der Pulka verstauen. Noch schnell einen Snack, etwas Tee und dann ging’s endlich wieder weiter. Zwar waren nur 200 Höhenmeter über einen Pass zu überwinden, dies aber auf einer Länge von ca 8 Kilometer. Ich musste ziemlich genau in Richtung Westen marschieren, starker Wind und Schnee schlugen mir direkt ins Gesicht, nach vier Stunden schleppte ich gedankenversunken meine Pulka hinter mir her. Plötzlich brachen meine Skier durch den Schnee, offenes Wasser schwappte von links, rechts, vorne und hinten auf mich zu. Ich ließ mich einfach auf die rechte Körperseite in den Schnee fallen und robbte so im Schnee weiter um mich so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone zu bringen! Danach blieb ich einige Zeit im Schnee liegen und ärgerte mich über meine Nachlässigkeit. Nicht auszudenken, wenn ich oder die Pulka (oder beide) im Wasserlauf eingebrochen oder durch die Strömung unter die Schneedecke gezogen würden. Ich war ja alleine und es war niemand da, der mir in so einer Situation helfen hätte können. Zum Glück hatten die Felle meiner Skier keinen Wasserkontakt und ohne weitere Probleme konnte ich meinen Weg fortsetzen. Nach einiger Zeit überschritt ich dann endlich die „Passhöhe“ und es ging bergab. Ich erreichte mein Tagesziel am dick vereisten Guordesluoppal-See und freute mich auf den nächsten wohlverdienten Ruhetag. Über den Tag verteilt wurde der Wind immer stärker, er rüttelte heftigst und bog mein Zelt wild hin und her. Keine so gemütliche Nacht!
Am nächsten Tag erreichte ich nach weiteren vier Stunden Marsch endlich mein Ziel: die Kreuzung mit dem Guhkesvagge-Tal. Hier blieb ich die nächsten Tage und von diesem fixen Standort aus startete ich auch auf meine zwei Gipfel. Diese waren der eigentliche Grund meines Daseins: Ähpar (1.914 m) und Spijekka (1.976 m). Zwei herrliche Gipfel mit ca 1.200 Höhenmeter im Anstieg, umsäumt von Gletschern und mit traumhaften Ausblicken. Der Sarek alleine zählt zweihundert Gletscher und macht diese Gegend zu einer beeindruckenden Landschaft. Die kommenden drei Tage bescherten mir sehr sonniges aber teilweise auch wieder windiges Wetter. Der direkte Gipfel des Spijekka blieb mir verwehrt. Im dichtesten Nebel im Gipfelbereich entschied ich mich 100 Meter unterhalb des höchsten Punktes zur Umkehr. Dafür bescherte mir der Ähpar am nächsten Tag bei wolkenlosem Himmel eine gewaltige Rundumsicht auf die beeindruckenden Berge dieser Landschaft.
Beim Rückmarsch zu meinem Zelt traf ich auf drei slowakische Winterenthusiasten. Sie teilten mir nach kurzem Smalltalk mit, dass für Übermorgen wieder sehr starker Wind angesagt sei. Eigentlich hätte ich für den nächsten Tag einen Ruhetag eingeplant. Aufgrund dieser Information plante ich aber um - bei über 90 km/h willst du sicher nicht herumpacken und marschieren!! So startete ich am nächsten Morgen, zurück über den Pass, hinunter in tiefere Lagen, geschützt vom wilden Wind. Ich entdeckte einen herrlichen Platz zwischen zwei Seen, geschützt in einer kleinen Bucht mit offenem und seichtem Gerinne. Einfach herrlich, endlich mit den bloßen Füßen in einem kleinen Bach zu stehen, sich wieder ordentlich waschen zu können und für`s Kochen schon „fertiges“ Wasser zur Verfügung zu haben. Man ist so ausgesprochen froh und glücklich über solche Dinge, welche in der Zivilisation einfach so normal und ungeschätzt sind. An diesem herrlichen Platz blieb ich für fünf Tage – ich wollte ja nicht immer unterwegs sein und dauernd mein Camp auf- und abbauen.
Nach einem Ruhetag stieg ich auf die umliegenden drei Berge, fotografierte, beobachtete einige Vögel, Schneehühner, einen Adler und versuchte mich im fischen.
Ein Schwede war mit seinem Scooter und seinem sechsjährigen Sohn bis knapp vor mein Zelt gekommen und hatte einen großen Eisbohrer dabei. Damit bohrte er durch die Eisdecke (die war über einen Meter dick!) mehrere Löcher in den See. Darin versenkten wir unsere Angelschnüre, aber beide hatten wir kein Fischerglück. Am 16ten Tag baute ich mein Lager wieder ab und begab mich zurück zu meinem Ausgangspunkt. Da ich einen anderen Abstiegsweg als für den Anstieg gewählt hatte, musste ich am Ende vor einer offenen Wasserstelle wieder umkehren und einen anderen Weg weiterlaufen. Dafür wurde ich aber mit der Ansicht einer kleinen Rentierherde belohnt (ich glaubte ja schon gar nicht mehr daran!) bevor ich am Ende des Tages doch noch die Fjällstation erreichte.
Rimon und seine Freundin Chiiko freuten sich mich wiederzusehen und ich blieb zwei Tage in dieser warmen, gemütlichen und so einladenden Lodge.
Eine traumhafte und doch teilweise sehr anstrengende Tour in der winterlichen Wildnis und den Weiten des hohen Nordens. Ich war solo und autark unterwegs. Das gesamte Material hatte ich von zu Hause mit dabei. Schwere Verpflegung (Mehl, Zucker, Schokolade, Speck, Brennstoff, Trockenfrüchte, Haferflocken, etc) kaufte ich in Stockholm ein. Als Tourverpflegung gab es Müsli am Morgen, abends Fertiggerichte, Dörrgemüse für Suppe, Keks, Speck und Schoko als Trailsnack, Tee, Kaiserschmarren (Milch- und Eipulver), Eierspeise, Bannok-Brot („Steckerlbrot“). Gekocht wurde auf einem Benzinkocher. Ich verwendete Solarlichter im Zelt, Teelichter für`s Schneeschmelzen und die Schuhtrocknung sowie ein Solarpaneel zum Laden des Handys und der Fotoakkus. Zur Kommunikation hatte ich ein Spot-GPS Gerät, um jederzeit Nachrichten an meine Familie zu schicken.
Vorausschauendes Marschieren im Gelände ist beim Transport einer Pulka sehr wichtig, Steilstücke (welche beim Schitourengehen nicht wirklich der Rede wert sind) können mit einer schweren Pulka zum richtigen Problem werden, auch bei der Abfahrt. Gewässerüberquerungen sind nicht zu unterschätzen, die Lawinengefahr muss selbständig eingeschätzt werden. Schneebeschaffenheit ist sehr oft windbearbeitet, in Leeseiten sind aber auch feine Pulverschneeabfahrten möglich. Wind ist sehr oft ein ständiger Begleiter und kann manche Dinge (Zelt auf- oder abbauen, Materialversorgen, Weitermarsch) unmöglich machen. Die Temperaturen bewegten sich von -2 bis - 17° Celsius. Ach ja, beim Abmarsch machten schon die ersten Mücken auf sich aufmerksam und teilten den nahenden Frühling mit.
Klaus Jäger